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Precht und der Antisemitismus
Kategorie: Europa & Welt, Politik / Wirtschaft, GeschichteFakten zum Faktencheck der Aussagen Richard David Prechts
Richard David Precht kann es aber auch niemandem Recht machen. Erst wetterte der vom Feuilleton zum Philosophen ernannte Talkshow-Dauergast und Podcaster jahrelang gegen „die Rechten“, dann wagte er es während der Corona-Krise plötzlich überzogene Maßnahmen des Staates zu kritisieren. Seitdem unter argwöhnischer Beobachtung des Gutmenschentums der Republik leistete er sich nun einen weiteren Fauxpax – einen so schwerwiegenden, dass ihm nun sogar sein Status als Philosoph aberkannt wird, zumindest von einigen Kommentatoren. Sein Vergehen: In seinem gemeinsam mit Moderator Markus Lanz wöchentlich stattfindendem Podcast Lanz & Precht äußerte er einige Thesen zum Judentum, die bei einigen semitophilen Tugendwächtern nicht ganz so gut ankamen.
Stellvertretend für viele Empörte verfaßte der seit 2018 als Beauftragter der baden-württembergischen Landesregierung gegen Antisemitismus wirkende Michael Blume einen vermeintlichen „Faktencheck“ um die ungeheuerlichen antisemitischen Ausfälle Prechts geradezurücken.
Daß dieses Ansinnen als Rohrkrepierer endete, lag auf der Hand. Immerhin eignen sich Blumes Behauptungen, um sie mit den Fakten zu konfrontieren.
Prechts Behauptungen und Blumes Widerlegungsversuche
1. Arbeitsverbot & HandelPrecht behauptete, das (orthodoxe) Judentum würde bei Juden das Arbeiten verhindern, “Diamantenhandel und ein paar Finanzgeschäfte ausgenommen.“
Blume schreibt dazu: Doch es stimmt so ganz und gar nicht: Religiöse Juden schätzen das Studium von Thora & Talmud sehr und einige ultraorthodoxe Traditionen empfehlen daher für Männer möglichst lange Studien. Aber es gab und gibt kein Arbeitsverbot und schon gar keine Beschränkung auf Diamanten und Finanzen. Im Gegenteil: Jüdinnen und Juden waren lange von vielen Berufen oder auch einfach Landerwerb ausgeschlossen und wurden von Christen und Muslimen, denen das Zinsnehmen religiös untersagt war, aufgefordert, als Händler und Bankiers zu arbeiten. Dies jetzt nachträglich zu einem angeblichen Eigen-Verbot des Judentums umzudrehen ist nicht weniger als Täter-Opfer-Umkehr und tradierter, antijüdischer Dualismus.
Tatsächlich aber empfiehlt der Talmud, der als Richtschnur für das Handeln der orthodoxen Juden gilt und lange vor irgendwelchen Ausschlüssen von Juden aus Zünften oder Berufsverboten in Europa verfaßt wurde, an zahlreichen Stellen, den Handel der Handarbeit vorzuziehen:
R. Meïr sagt: „Man lehre seinen Sohn ein reines und leichtes Handwerk und rufe Gott an, dem Reichtum und Güter gehören!“ R. Nahorai sagt: „Ich lasse alle Geschäfte in der Welt liegen und lehre meinen Sohn nur Thora, denn der Mensch genießt von ihrem Lohne in dieser Welt und das Kapital bleibt für die künftige Welt“ (S. 29).
R. Simeon: „Hast du jemals ein wildes Tier oder einen Vogel ein Handwerk treiben sehen?? und dennoch ernähren sie sich ohne Mühe. Und sie sind doch nur erschaffen, um mir zu dienen, ich aber bin erschaffen worden, um meinem Schöpfer zu dienen und ich sollte mich ohne Mühe ernähren müssen?“ (Kidduschin F. 82a).
„Hast du jemals gesehen“, sagte Rabbi Simon ben Eleasar im Namen des Rabbi Meïr, „daß der Löwe Lasten trug, die Gazelle mähte, der Fuchs Handelsgeschäft« trieb, der Wolf Töpfe verkaufte, und dennoch nähren sie sich ohne Sorge. Und warum wurden sie erschaffen? Um mir zu dienen. Und warum bin ich erschaffen worden? Um meinem Schöpfer zu dienen. Wenn nun schon jene, welche zu meinem Dienste erschaffen sind, sich nicht mühevoll ernähren, um wieviel weniger sollte ich mich, der ich zum Dienste meines Schöpfers erschaffen worden bin, mühevoll ernähren?“ (J. Kidduschin 40 b).
Raba hat gesagt: „Wer 122 Sus auf Geschäftsverkehr verwendet, kann alle Tage Fleisch und Wein genießen; wer dagegen 122 Sus auf den Acker verwendet, muß sich mit Salz und Grummet begnügen ... und ist Streitigkeiten ausgesetzt“ (Jebamoth F. 65 a).
Rabbi Ismael: Wer klug sein will, beschäftige sich mit Geldprozeßangelegenheiten, denn es gibt keine größeren Eckpfeiler in der Thora, denn sie sind wie eine sprudelnde Quelle (Baba Batra F. 173 b).
Wer statt der Juden die schwere Arbeit übernehmen solle, läßt Ptsachim 68 a erkennen, wo es heißt daß Heiden... dem Volke Gottes als Bürger und Ackerleute dienen (S. 363).
Da der Talmud, anders als Michael Blume meint, eigentlich das das Erheben von Zinsen gegenüber einem anderen Juden ausdrücklich untersagt, behalf man sich mit einer List. Der Gläubiger verlieh sein Geld nicht, sondern investierte offiziell in das Geschäft des Schuldners und vereinbarte dafür einen festen „Anteil am Gewinn“. Das Zinsgeschäft mit Nichtjuden und deren Überwucherung fiel indes nicht unter das Verbot, denn alle Vorschriften des Talmud richten sich nur nauf den Geschäftsverkehr zwischen Juden.
Rudolf Jung bilanziert, ohne seinen Sarkasmus verhehlen zu können: „Im gesegneten Lande Kanaan, im „Gelobten Land“ wo Milch‘ und Honig floß, ging dem Judentum das Verständnis für seine eigentliche Sendung auf. „An den Fremden magst du wuchern, aber nicht an deinem Bruder, auf daß Jahwe dich segne“ (5. Mos. 23, 20). So hatte Moses es ihm geboten, und ihm dafür verheißen: „Jahwe wird dir Gewinn geben, wie er dir versprochen hat. So wirst du vielen Völkern leihen, aber du wirst von niemand zu borgen brauchen“ (3. Mos. 15, 6). Diese Verheißung ging rascher in Erfüllung, als man glauben konnte. „Da aber Israel mächtig ward, machte es die Kanaaniter zinsbar und vertrieb sie nicht. — Und die Einwohner zu Kitron und Nahahol und zu Beth Genes und Beth Anath wurden zinsbar. — Und die Amoriter wohnten auf dem Gebirge Heres und die Hand des Hauses Josef ruhte schwer auf ihnen, denn sie waren alle zinsbar geworden“ (Richter 1, 28—33).64
Juda war also zur Einsicht gekommen, daß es besser sei, die Völker nicht zu erschlagen, sondern zinspflichtig zu machen und seine Herrschaft durch Pfandbriefe statt mit dem Schwerte aufrecht zu erhalten. (Siehe dazu Friedrich Kern, S. 37 f.)
2. Regierung Netanjahu rechtsradikal?
Auch die Behauptungen Prechts, dass “die Orthodoxen und die Nationalisten in der Regierung krasser sind als Orban” und “rechter als die AfD”, stieß auf Kritik Blumes. Zu allem Unglück, so Blume, assistierte Lanz, dies seien “Rechtsradikale, anders kann man das nicht sagen.”
Blume versucht sich nun an einer Ehrenrettung der Regierung Netanjahu und meint: „Hier werden drei sehr verschiedene und teilweise heftig streitende Strömungen zusammengerührt: 1. Säkulare Rechtsradikale, die meist gerade nicht nach religiösen Geboten leben, aber etwa die Wehrpflicht bejahen. 2. Modern-Orthodoxe, die meist sowohl die Republik Israel wie die Armee und auch weltliche Bildung bejahen und Freund-Feind-Dualismus ablehnen und 3. Ultraorthodoxe“, die natürlich nicht rechtsradikal seien..
Dabei steht die politische Ausrichtung der Regieurng außerhalb von Blumes Wahrnehmung außer Frage. Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik schrieb nach der Parlamentswahl in Israel im November 2011:
Der Wahlsieg [Netanjahus] zeichnete sich bereits seit Längerem ab. Zusammen mit Bezalel Smotrich hatte der ultrarechte Politiker Ben-Gvir ein Wahlbündnis geschmiedet, das nun mit dem ehemaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu eine Koalition bilden soll. Netanjahus Likud-Partei hat die Wahl nach den bisherigen Auszählungen gewonnen und könnte mit Smotrichs und Ben-Gvirs Unterstützung eine knappe Mehrheit der Sitze in der Knesset erreichen. Damit könnte der bisherige Premier Jair Lapid von der liberalen Partei Jesch Atid abgelöst werden.
Dabei scheint „Bibi“, wie Netanjahu gerne von Israelis genannt wird, nicht davor zurückzuschrecken mit Rechtsextremen und Rassisten zu koalieren. Im Fall von Itamar Ben-Gvir handelt es sich sogar um einen vorbestraften Rechtsextremen. Er war 2007 wegen Anstiftung zum Rassenhass verurteilt worden. Anschließend studierte er Jura und vertrat vor Gericht selbst immer wieder Rechtsextreme und Siedler. Die israelische Tageszeitung „Haaretz“ bezeichnet Ben-Gvir als „erste Anlaufstelle für jüdische Extremisten, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind“.
Ähnlich schrieb die „Jerusalem Post“ bereits 2007: „Der Rechsaußen-Aktivist Itamar Ben-Gvir wurde am Montag von einem Jerusalemer Gericht aufgrund von Aufstachelung zum Rassismus und Unterstützung einer terroristischen Organisation verurteilt. Grundlage der Verurteilung waren Schilder mit den Aufschriften „“Vertreibt den Arabischen Feind“ und „Rabbi Kahane hat Recht: Die Araber sind eine 5. Kolonne“. Auch soll er gerufen haben „Tod den Arabern“.
Zuletz war Ben-Bvir im August 2023 mit Araber-feindlichen Aussagen aufgefallen:
„Mein Recht, das Recht meiner Frau und meiner Kinder, sich in Judäa und Samaria (Westjordanland) zu bewegen, ist wichtiger als die Bewegungsfreiheit der Araber.“
Auch der ultrarechte israelische Finanzminister Bezalel Smotrich steht international in der Kritik, weil er Anfang März zum „Ausradieren“ eines palästinensischen Dorfes aufgerufen hat.
Ende März legte der dann nach und sagte „So etwas wie Palästinenser gibt es nicht, weil es so etwas wie ein palästinensisches Volk nicht gibt“, sagte Israels Finanzminister, Bezalel Smotrich, kürzlich bei einer Veranstaltung in Paris.
Die Illusion des palästinensischen Volks sei von Arabern erfunden worden, „um die zionistische Bewegung zu bekämpfen“. Wenn es wahre Palästinenser gebe, fuhr Smotrich fort, dann seien dies seine Vorfahren, schließlich lebe seine Familie seit 13 Generationen in der Region.
Anschließend zeigte er sich vor einer Großisrael-Karte, die Jordanien einschließt.
Und auch Netanjahu selbst gilt als Hardliner und zeigte eine Karte Israels ohne Gaza-Streifen.
Wer vor diesem Hintergrund leugnet, daß es sich bei der amtierenden Regierung um eine rechtsextreme im gebräuchlichen Sinne handelt, leugnet die Realität.
3. Gebetsvorschriften
Ausgerechnet im Kontext der Diskussion des Schabbat – des wöchentlichen Feier-, Ruhe- und Besinnungstages im Judentum – betonte Lanz, dass “diese Menschen… die meisten von denen arbeiten nicht” sehr “gestresst” seien, denn “den ganzen Tag bist du wirklich nur mit Beten beschäftigt”. Auch auf “die Kinder” übertrage sich “den ganzen Tag beten, Busse tun, Gott gefallen”.
Blume versucht dies mit dem Hinweis zu relativieren, dass es im religiösen Judentum lediglich drei tägliche Gebete gebe: Morgens, Mittags und Abends. Im Islam sind es fünf. Und die christlichen Benediktiner im Kloster Andechs verweisen auf ihrer Homepage auf das “immerwährende Gebet”, das sich in Vigil (Nacht) und Laudes (Morgen), Mittagshore, Komplet und Vesper gliedert.
Jüdische Kinder sind ausdrücklich noch nicht zur Einhaltung aller Gebote verpflichtet – erst mit dem ab Jugend möglichen Lese-Initiationsritus der Bar Mitzwa (Jungs) bzw. Bat Mitzwa (Mädchen, in einigen Traditionen) werden sie zu voll verantwortlichen Söhnen und Töchter der Gebote. Eine Erbsünde-Lehre, nach der schon kleine Kinder sich Gottes Versöhnung erst erdienen müssten, gibt es im Judentum ausdrücklich nicht! Gerade auch im Vergleich zu den anderen semitischen und abrahamitischen Religionen gibt es hier keinen Gebets-Exzess.
Blume vergißt dabei die Erwähnung der Tatsache, dass, anders als die ultraorthodoxen Juden in Israel, die Benediktiner nirgendwo auf der Welt an Regierungen beteiligt sind.
Zudem führen die Ultra-Orthodoxen in Israel selbst ihre umfangreiche Gebetstätigkeit als Grund dafür an, nicht in der Armee dienen und auch keine übliche Beruftstätigkeit ausüben zu können. Die Charedim, so die Beezeichnung der strenggläubigen Juden, leben abgeschottet: Sie haben keine Fernseher, nur begrenzt Internet, Kinder gehen in religiöse Schulen und die meisten Männer lernen in Thoraschulen, anstatt zu arbeiten. Seit der Staatsgründung sind sie von der Wehrpflicht befreit, sofern sie nachweisen können, dass sie sich ganztags dem Studium religiöser Schriften widmen. Denn auch das sei schließlich ein Dienst für das jüdische Volk, erklärt Rabbiner Dov Halberthal.
Dies ist jedoch keine neue Entwicklung. Schon der bekannte jüdische Gelehrte C. Montefiore beklagte, daß „das jüdische Leben [seit der Diaspora] bar aller intellektuellen und geistigen Interessen mit Ausnahme der religiösen“ gewesen sei. Und nach dem Zeugnis des jüdischen Schriftstellers Rubens verschwende der Jude, der streng nach den Vorschriften lebe, „fast den halben Tag für die Religion allein“ .
4. Jahweh: Kein gerechter Gott?
Aus seinen Annahmen ergebe sich, so Lanz, aber die Frage: “Was ist das für ein Gott, der das von dir verlangt?” Und nun eskalierte Precht völlig: “Das kann doch kein lieber Gott sein, der von morgens bis abends angebetet und verherrlicht werden will. Das widerspricht doch sozusagen den göttlichen Prinzipien des allmächtigen, allgewaltigen In-Sich-Ruhens. Ein Gott, der von Menschen so etwas verlangt, widerspricht doch der Gottesidee.”
Blume verweist in Reaktion auf das jüdische Selbstverständnis, mit dem diese Aussage freilich nichts zu tun habe: Die meisten jüdischen Gelehrten betonen, dass Gottes Wille stets sowohl als liebevoll wie auch als gerecht zu verstehen sei.
Dies ist allerdings mit der Realität der jüdischen Texte nicht in Einklang zu bringen: Bereits die Bibel berichtet, wie Jahweh die Vertilgung von Israeliten durch die eigenen Landsleute befiehlt, nachdem diese vom Glauben abgefallen waren – dem „Tanz um das Goldene Kalb“ folgte das eigentlich erwähnenswertere Massaker zu Füßen eben jenes Kalbes. Als Moses seinen Stellvertreter Aaron ermahnte, weil dieser bei seiner Abwesenheit ein goldenes Kalb als Gottesabbild errichtet hatte, erwiderte dieser: „Werde bitte nicht zornig, mein Herr. Du weißt doch, wie böse dieses Volk ist. Sie haben zu mir gesagt: ‚Mach uns einen Gott, der vor uns herzieht! Denn wir wissen nicht, was aus diesem Mose geworden ist, …“ Darauf sprach Moses zu ihnen: „So spricht Jahwe, der Gott Israels: ,Jeder von euch hole sein Schwert! Dann geht ihr durch das ganze Lager hin und ... erschlagt alle Götzendiener, selbst wenn es der eigene Bruder, Freund oder Verwandte ist.‘ Die Leviten führten den Befehl Moses‘ aus und töteten an jenem Tag etwa dreitausend Mann. Darauf sagte Mose zu ihnen: ‚Weiht euch heute für Jahwe, damit er seinen Segen auf euch legt, denn keiner von euch hat den eigenen Sohn oder Bruder verschont.‘“
Ein vernichtendes Urteil über Angehörige seines eigenen Volkes fällt dementsprechend der Prophet Jeremias in seiner Anklage gegen Juda: „In ganz Jerusalem ist kein Mann zu finden, der recht tut und die Wahrheit sagt. – Jerusalem ist voll von Erpressung, wie Wasser quillt die Bosheit. Gewalt und Raub ist an der Tagesordnung; vom Kleinsten bis zum Größten jagen alle nach Geld, und vom Propheten bis zum Priester üben sie alle Betrug.“
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